Schröder kündigt seinen Rückzug an
Noch-Bundeskanzler Schröder hat erstmals öffentlich erklärt, dass er dem Kabinett Merkel nicht angehören wird. Er werde aber dafür arbeiten, die Große Koalition zusammen zu bringen. Was er nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt plant, ließ Schröder offen.
Hamburg - "Sieg oder Viktoria", hatte die "Zeit" vor dem 18. September für Gerhard Schröder als Losung ausgegeben - noch einmal Kanzler oder der Rückzug ins Privatleben und damit viel Zeit für seine vierjährige Adoptivtochter. Die Entscheidung darüber sollte sich länger hinziehen, als alle gedacht hatten. Erst rund drei Wochen nach der Schicksalswahl steht fest: Ein Sieg ist es nicht geworden, der Auszug aus dem Kanzleramt steht bevor.
Nun also Viktoria? Am Abend kündigte Schröder indirekt an, dass er einer künftigen schwarz-roten Bundesregierung unter Angela Merkel nicht mehr angehören wird. Zur Regierungsbildung sagte er auf einem Maschinenbau-Kongress in Berlin: "Ich will daran mitwirken, dass es gut wird. So verstehe ich die Aufgabe, die man dann ... hat, wenn man der nächsten Regierung nicht mehr angehören wird." Die anstehenden Koalitionsverhandlungen kommentierte er: "Ich hoffe, dass sie (die große Koalition) zu Stande kommt." Er fügte hinzu: "Ob es gut wird, wird man ja sehen."
Er wolle mithelfen, dass der von ihm begonnene Reformprozess in einer schwarz-roten Regierung vorangebracht werde, sagte Schröder. Er habe den Wunsch zu helfen, "dass wir den Aufbruch hinkriegen - am liebsten in einem anderen Amt, aber das ist nun mal nicht so". Rückblickend auf seine Regierungszeit sagte Schröder: "Ich nehme für mich in Anspruch, dass wir die Weichen in die richtige Richtung gestellt haben." Nun müssten andere daran arbeiten, dass der Zug über diese Weichen in die richtige Richtung fährt.
Er sei sich sicher, dass Schröder ein "political animal" bleiben wird, hatte zuvor noch SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter dem Nachrichtensender N24 gesagt. Der Kanzler werde sich nicht einfach so aufs Altenteil zurückziehen. "Wir hoffen und wir wünschen uns, dass Gerhard Schröder weiter ganz führend bei uns mitmischt."
Sie hofften lange, die Sozialdemokraten, und viele wünschen immer noch. Niemand in der SPD will sich so recht vorstellen, dass Schröder der Politik den Rücken kehrt. Nicht wenige glauben, dass er der einzige ist, der die Partei als starken Partner in eine Große Koalition führen kann.
"Wir brauchen einen Reformmotor in dieser Koalition und können auf ihn nicht verzichten", verbreitete der rechte Seeheimer Kreis, der noch kurz vor der Einigung zwischen Union und SPD seinen erbitterten Widerstand gegen eine Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin angekündigt hatte. "Gerhard, Du musst Außenminister werden", soll Fraktionsvize Ludwig Stiegler Schröder bekniet haben. Doch Schröder hat sich noch nie gerne etwas vorschreiben lassen. Was er müsse, das müsse man schon ihm überlassen, blaffte er zurück. "Meine Lebensplanung sieht anders aus", werden Schröders Worte überliefert, die alle Hoffnungen auf einen Verbleib im Dunstkreis der Macht zunichte machen. Ja, das habe Schröder so gesagt, bestätigte Parteichef Franz Müntefering inzwischen. Schröder will nicht Vizekanzler werden, er will nicht am Kabinettstisch sitzen und den Chefsessel Angela Merkel überlassen müssen.
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Nicht alle Bundeskanzler haben die Politik mit dem Ende ihrer Zeit als Regierungschef hinter sich gelassen. Konrad Adenauer etwa, blieb selbst nach 14 Jahren Amtszeit nach seinem Rücktritt 1962 einfacher Bundestagsabgeordneter und steuerte noch bis 1966 als Parteichef die Geschicke der CDU. Ludwig Erhard, Kanzler von 1963 bis 1966, zog nach dem Bruch der schwarz-gelben Koalition bis 1976 noch drei Mal für die CDU in den Bundestag ein, 1976 wurde er Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. Nach der Wahl eröffnete er als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Parlaments.
Kurt Georg Kiesinger, von 1966 bis 1969 Kanzler der bisher einzigen Großen Koalition im Bund, ließ sich nach deren Ende erst 1980 nicht wieder in den Bundestag wählen. Helmut Schmidt verzichtete nach dem gegen Helmut Kohl verlorenen konstruktiven Misstrauensvotum zwar auf eine erneute Kanzlerkandidatur, er gehörte aber noch bis 1987 dem Bundestag an. Im gleichen Jahr erst, 13 Jahre nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler, gab Willy Brandt den Vorsitz der SPD ab.
Die Entscheidung ist noch nicht gefallen
Der Rückzug aus der Politik ist für den scheidenden Bundeskanzler nicht zwangsläufig, für Schröder ist er jedoch beschlossene Sache. Ob allerdings die einzige Alternative tatsächlich das ruhige Familienleben ist, scheint weit weniger klar. Auch wenn ihm die anstrengenden Jahre seiner Kanzlerschaft und vor allem der vergangenen Wochen seit Verkündung des Neuwahl-Plans ins Gesicht geschrieben sind, Schröder, 61, ist fit, gesund und sicher auch noch voller Energie. Die Entscheidung über seine künftige Betätigung ist noch nicht gefallen. Hätte er bereits einen Beschluss gefasst, wüsste er bereits, was er aus sich macht, er täte gut daran, es schnell kundzutun. Denn Spekulationen sind derzeit die liebste Freizeitbeschäftigung der Beobachter des politischen Berlin.
Die russische Gasprom, der staatlich kontrollierte größte Gasförderer der Welt, könnte Schröder bald einen Beraterjob anbieten, meldete heute ein russischer Radiosender. Angeblich soll darüber schon anlässlich Schröders Geburtstagsbesuch bei Präsident Wladimir Putin gesprochen worden sein. Ein "übles Gerücht" sei das, stänkerte SPD-General Benneter. Als "verleumderisch und falsch" ließ Schröder seinen Sprecher Béla Anda jüngst dementieren, Schröder habe einen mit 1,5 Millionen Euro Jahresgehalt dotierten Job bei der US-Investmentbank Merrill Lynch in Aussicht.
Über eine mögliche Zukunft Schröders im Bankgeschäft hatten Medien schon im vergangenen Jahr spekuliert. Seine engen Verbindungen zum Chef der US-amerikanischen Citigroup, Sanford Weill, könnten in einem Jobangebot Weills für Schröders Post-Politik-Leben münden, hieß es damals. Wunderbar passte da eine Äußerung seiner Frau, die in einem Interview Jahre zuvor bereits einmal angedeutet hatte, dass sie sich gut vorstellen könne, später einmal mit ihrer Familie in New York zu leben. Schröder-Köpf hatte dort Anfang der 90er bereits eine Zeit lang verbracht. Schröder könnte wieder der Genosse der Bosse sein. Doch der Kanzler widersprach: "Mein New York heißt Hannover."
Könnte Schröder nicht auch einfach in seinen Beruf als Rechtsanwalt zurückkehren? Auf der Homepage der Kanzlei seines Freundes Götz-Werner von Fromberg, wird er immer noch aufgeführt. "Übt seinen Beruf zur Zeit nicht aus" steht unter seinem Namen. Die "Bild"-Zeitung glaubte zuletzt festgestellt zu haben, dass Schröder-Freund Bill Clinton wichtige Kontakte zur Redner-Agentur "The Harry Walker Agency" hergestellt habe. Schröder könne sich wie Clinton von der Agentur vermitteln lassen und pro Rede 50.000 bis 100.000 Euro kassieren.
Was wird aus Schröder? Er ist kein Intellektueller, kein Publizist wie Altkanzler Schmidt als Herausgeber der "Zeit". Schröder wird sich nicht ausschließlich dem Bücher schreiben widmen. Die Rolle des "elder statesman", die der moralischen Instanz, wie Brandt sie bis zu seinem Tod 1992 verkörperte, wird Schröder auf absehbare Zeit nicht spielen.
Nur eines ist mit Blick auf seine Zukunft derzeit sicher. Er wird früher oder später seine Memoiren veröffentlichen. Die hat er jüngst noch versprochen. "Irgendwann schreibe ich darüber", sagte er. Dann sollen alle erfahren, wie das so war, mit Franz Müntefering und den Neuwahlen.
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